Eine im Februar dieses Jahres in den USA veröffentlichte Studie bringt erschreckende Erkenntnisse zum Thema obstruktive Schlafapnoe, die aber gleichzeitig auch auf neue Therapieansätze hoffen lassen: Schlafapnoe verändert die Konzentration wichtiger chemischer Botenstoffe im Gehirn. Diese gestörte Gehirnchemie könnte erklären, warum viele Schlafapnoiker unter Konzentrationsstörungen, Gedächtnisproblemen und Depressionen leiden und besonders leicht in Stress geraten. -von Marion Zerbst
Starke Veränderung der Neurotransmitter
Wissenschaftler der University of California untersuchten die Gehirne von 14 Schlafapnoe-Patienten und 22 gesunden Menschen und staunten nicht schlecht, als sie feststellten, dass die Konzentration wichtiger chemischer Botenstoffe (Neurotransmitter) in einer Gehirnregion bei den Schlafapnoikern stark verändert war: Die Insula ist unter anderem für die Regulation unserer Emotionen und unseres Denkens, aber auch für Körperfunktionen wie Blutdruck und Schweißabsonderung zuständig. Die Schlafapnoiker wiesen in dieser Hirnregion zu niedrige Spiegel des Neurotransmitters GABA und zu hohe Glutamatspiegel auf.
Schädigung der Nervenzellen möglich
Die Abkürzung GABA steht für Gamma-Aminobuttersäure – ein Botenstoff, der die Erregbarkeit von Nervenzellen herabsetzt, also beruhigend, entspannend und angstlösend wirkt. Davon hatten die Schlafapnoe-Patienten zu wenig. Zu viel hatten sie dagegen von dem Botenstoff Glutamat. Eine zu hohe Konzentration dieses Neurotransmitters führt zu einer Art „Dauererregung“: Das Gehirn arbeitet im Stressmodus und funktioniert folglich nicht so gut – Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sind die Folge. Und nicht nur das: Hohe Glutamatspiegel können auch die Nervenzellen schädigen.
Forscher sind überrascht
Frühere Untersuchungen hatten bereits gezeigt, dass Schlafapnoe zu strukturellen Veränderungen im Gehirn führt und dass diese vermutlich an einigen typischen OSA-Beschwerden wie vermehrtem Schwitzen, Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen mitschuldig sind. „Doch in dieser Studie konnten wir tatsächlich erhebliche Unterschiede in der Konzentration zweier chemischer Botenstoffe nachweisen, die die Funktion des Gehirns beeinflussen“, erklärte der Leiter der Studie, Dr. Paul Macey. Das hat die Wissenschaftler verblüfft: „Mit einer erhöhten Glutamat-Konzentration hatten wir gerechnet, weil wir wissen, dass diese chemische Substanz in hohen Dosen das Gehirn schädigt, und weil ja auch vorher schon Hirnschäden aufgrund einer Schlafapnoe beobachtet worden waren. Aber der niedrige GABA-Spiegel hat uns wirklich überrascht: Er zeigt, dass eine Schlafapnoe offenbar tatsächlich die Funktionsweise des Gehirns verändert.“
Gefahr der Alzheimer-Demenz erhöht
Die Kombination zwischen zu niedrigen GABA- und zu hohen Glutamatspiegeln könnte eine Erklärung für die verminderte Stresstoleranz, die erhöhte Reizbarkeit und verstärkte Neigung zu Angststörungen und Depressionen sein, unter der viele Schlafapnoe-Patienten leiden, meinen die Autoren der Studie. Und nicht nur das: Ein zu hoher Glutamatspiegel im Gehirn liegt auch bei Patienten mit Alzheimer-Demenz vor. Und seit einiger Zeit weiß man, dass Schlafapnoe ebenfalls das Demenzrisiko erhöht. Auch hier könnte also ein Zusammenhang bestehen.
Licht am Ende des Tunnels
Dennoch findet Dr. Macey die Ergebnisse seiner Untersuchung in gewisser Weise sogar ermutigend: „Ein einmal entstandener Schaden ist normalerweise irreparabel. Doch eine veränderte Funktionsweise des Gehirns könnte man vielleicht korrigieren.“
Ob das gestörte Neurotransmitter-Gleichgewicht im Gehirn sich durch eine CPAP-Therapie wieder normalisieren lässt, weiß man bisher noch nicht; hierzu wollen die Autoren in Zukunft noch weitere Studien durchführen. Aber wenigstens wissen Ärzte nun, was sie einem Schlafapnoe-Patienten – zusätzlich zur Verschreibung eines CPAP-Geräts – sonst noch Gutes tun können: „Stress, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisverlust – das sind Punkte, bei denen man in der Behandlung solcher Patienten ansetzen muss.“ Denkbar wäre zum Beispiel, die gestörte Gehirnchemie mithilfe von Medikamenten zu behandeln. Aber auch auf indirektem Weg – durch Verhaltensänderungen – könnte man die Neurotransmitter vielleicht positiv beeinflussen. So will das Wissenschaftler-Team beispielsweise untersuchen, ob sich durch Achtsamkeitsübungen – die beruhigend auf das Gehirn wirken – der Glutamatspiegel senken lässt.
Quelle: Macey P, Sarma M, Nagarajan R, Aysola R, Siegel J, Harper R, et al. Obstructive sleep apnea is associated with low GABA and high glutamate in the insular cortex. The Journal of Sleep Research. 2016. DOI: 10.1111/jsr.12392
Quelle: Das Schlafmagazin-Ausgabe 2/2016